Das Projekt Housing First

Housing First Berlin ist ein innovatives Projekt zur langfristigen Bekämpfung von Obdachlosigkeit. Betroffene werden unbefristet und mit einem eigenen Mietvertrag in Wohnraum untergebracht und darüber hinaus professionell betreut.

Housing First Berlin ist eine Projektpartnerschaft zwischen dem Verein für Berliner Stadtmission und der Neue Chance gGmbH.

Mit Wohnraum versorgen und flexibel unterstützen!

Housing First ist ein moderner
und innovativer Ansatz in der Obdachlosenhilfe

Die Grundidee entstand in den 90er Jahren in den USA und wird seit Oktober 2018 in Berlin umgesetzt. Der Leitgedanke von Housing First Berlin beruht auf der Annahme, dass Wohnen Menschenrecht ist. Eine eigene Wohnung dient als Schutzraum und ist die Basis für eine erfolgreiche Lebensbewältigung. Housing First Berlin geht davon aus, dass sich komplexe Problemlagen und besondere Lebenssituationen nur lösen lassen, wenn dieses Grundbedürfnis gesichert ist. Daher steht die Wohnraumversorgung ganz am Anfang und ist nicht an das Unterstützungsangebot gebunden. Der vermittelte Wohnraum dient als Basis für eine Regeneration der Selbsthilfekräfte und eine Aktivierung der vorhandenen Ressourcen. Dadurch wird die zusätzlich angebotene Unterstützung besonders effizient. Das Konzept gewährleistet eine dauerhafte Unterstützung. Das hat unter anderem eine entlastende Funktion, da keine Sorge mehr besteht, dass die Maßnahme und damit auch die Unterbringung im Wohnraum beendet wird, wenn die vereinbarten Hilfeziele nicht erreicht werden. Housing First beruht auf den folgenden Prinzipien:

Dokumente & Downloads

Das Team um Prof. Dr. Susanne Gerull von der Alice Salomon Hochschule Berlin hat uns seit Beginn drei 3-jährigen Modellprojektphase von Housing First Berlin im Oktober 2018 bis zum Dezember 2021 mit einer Evaluation begleitet.

Die Prinzipien von Housing First

Unser Team

Wir sind ein interdisziplinäres Team
mit vielfältiger Expertise

Für die Akquise von Wohnraum und die intensive Betreuung ist das Team von Housing First Berlin multiprofessionell aufgestellt. Damit sollen nicht nur die vielfältigen Anforderungen an die Fachkräfte bestmöglich erfüllt werden, sondern gleichzeitig Beziehungen auf unterschiedlichen Ebenen aufgebaut werden. Die Verbindung der unterschiedlichen Expertise der verschiedenen Berufsgruppen ermöglicht es, den komplexen Problemlagen der Klient*innen gerecht zu werden und flexibel auf die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmenden eingehen zu können.

Für die Akquise von Wohnraum und die intensive Betreuung ist das Team von Housing First Berlin multiprofessionell aufgestellt. Damit sollen nicht nur die vielfältigen Anforderungen an die Fachkräfte bestmöglich erfüllt werden, sondern gleichzeitig Beziehungen auf unterschiedlichen Ebenen aufgebaut werden. Die Verbindung der unterschiedlichen Expertise der verschiedenen Berufsgruppen ermöglicht es, den komplexen Problemlagen der Klient*innen gerecht zu werden und flexibel auf die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmenden eingehen zu können.

Das allgemeine Fallmanagement übernehmen ausgebildete Sozialarbeiter*innen. Sozialbetreuer*innen begleiten die Teilnehmenden bei der Bewältigung ihrer alltäglichen Aufgaben. Sie bieten im Wohnbereich ganz praktische Hilfe an und unterstützen die Klient*innen dabei, möglichst selbstständig ihren Haushalt zu führen. Die professionellen Hilfeangebote werden ergänzt durch die Mitarbeit von Menschen, die in der Vergangenheit selbst von Obdachlosigkeit betroffen waren. Die sogenannten Peer Group Workers ergänzen die Arbeit der Fachkräfte mit spezifischen Lebenserfahrungen, die sie mit den Teilnehmenden teilen. Die Teilnehmenden erhalten dadurch zusätzlich ein alternatives Beziehungsangebot, bei dem die Gemeinsamkeiten in der Biografie eine wesentliche Rolle spielen. Oft erwachsen aus dem Wohnraumverlust Schwierigkeiten seelischer Natur oder diese werden durch die Obdachlosigkeit verstärkt. Deshalb wird das Team seit Mitte 2021 durch eine Psychologin ergänzt. Mit einer akzeptierenden Haltung kann sie die Vermittlung ins reguläre Gesundheitssystem traumasensibel begleiten. Dabei stehen weniger Diagnosen als vielmehr die ganz eigenen Bedürfnisse der Klient*innen im Vordergrund. Der Koordinator für Wohnraum arbeitet eng mit den beteiligten Hausverwaltungen zusammen um Wohnungen zu akquirieren und gegebenenfalls eine schnelle Problemlösung zu ermöglichen.

Was macht Housing First?
Ablauf & Ziele

Housing First ist nicht Housing only

Am Anfang steht die direkte Unterbringung im Rahmen eines normalen Mietverhältnisses. Die Teilnehmenden haben über die Wohnungslosigkeit hinaus aber häufig vielfältige Problemlagen, wie Suchterkrankungen und/ oder komplexe psychische Erkrankungen. Gemeinsam mit dem Team aus Fachkräften sollen die Teilnehmenden eigene Ziele zur Verbesserung ihrer Lebenssituation entwickeln. Statt formeller Anforderungen setzt Housing First Berlin hier auf Partizipation und Flexibilität. Das Team bietet den Teilnehmenden auf vielfältige Weise die Möglichkeit, an den Lebensbereichen zu arbeiten, in denen sie etwas verändern wollen. Das kann der Umgang mit psychischen Erkrankungen aber auch eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sein. Damit kann nicht nur bedarfsgerecht auf die jeweilige Lebenssituation eingegangen werden. Die Teilnehmenden können sich so auch Ziele setzen, die sie nicht überfordern und mit ihren Ressourcen realistisch umsetzbar sind. So soll eine selbstbestimmte Lebensführung erreicht werden, die den individuellen Voraussetzungen angemessen ist. Dazu gehört auch die Anbindung an Unterstützungsangebote und ambulante Hilfeformen in der Nähe des eigenen Wohnraums.

In diesem Rahmen bietet Housing First Berlin:

  • Akquise und Vermittlung von Wohnungen zur Anmietung
  • Akquise und Aufnahme der Teilnehmenden
  • Anbahnung der Mietverhältnisse
  • Gewährleistung des begleitenden Unterstützungsangebotes für die Teilnehmenden
  • gegenseitigen Informationsaustausch mit den Vermietern

Langfristiger Wohnungserhalt und dauerhafte Verbesserung der Lebensqualität

Den Teilnehmenden soll bei Housing First Berlin die Möglichkeit gegeben werden, ihre langjährige Obdachlosigkeit zu beenden. Mit dem Einstieg in das Programm erhalten sie in kürzester Zeit eine eigene Wohnung und umgehend Zugang zu vielfältigen Hilfeangeboten. Hierbei geht es vor allem darum, in einem freiwilligen Setting, die Selbsthilfekräfte und Ressourcen der Betroffenen zu mobilisieren. Durch die proaktive und beständige Unterstützung von Fachkräften sollen die Teilnehmenden ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben führen können.
Über die Hilfe der Betroffenen hinaus soll das Modellprojekt in Berlin auch als ergänzendes Angebot bestehender Hilfesysteme fungieren, das dort greift, wo es zu Schnittstellenproblemen und Systemüberlastungen kommt. Über Housing First Berlin ist außerdem die Vermittlung in passende ambulante Hilfen möglich. Der Modellcharakter bietet zusätzlich die Möglichkeit, Erfahrungswerte zu sammeln und durch eine fundierte Evaluation Anstöße zu geben, um den konzeptionellen Ansatz von Housing First auf fachlicher Ebene weiterzuentwickeln. Das Land Berlin erhält gleichzeitig die Chance, ein neues Hilfeinstrument zur kosteneffizienten Bekämpfung von Obdachlosigkeit und öffentlicher Verelendung zu erproben.

Projektpartnerschaft

Das Projekt Housing First Berlin ist eine Projektpartnerschaft zwischen dem Verein für Berliner Stadtmission und der Neue Chance gGmbH. Die Umsetzung erfolgt in enger Zusammenarbeit mit der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales.

Neue Chance gGmbH

Die Neue Chance gGmbH ist eine gemeinnützige Organisation der Sozial- und Jugendhilfe. Sie wurde im Mai 2010 vom Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. gegründet und ist seit September 2010 ein hundertprozentiges Tochterunternehmen der GEBEWO - Soziale Dienste Berlin - gGmbH.
Die Neue Chance gGmbH bietet an neun Standorten in Berlin soziale Hilfeleistungen für Menschen aller Altersgruppen an. Sie unterstützt mit materiellen, lebenspraktischen, sozialen oder persönlichen Schwierigkeiten, sowie in vielfältigen Not- und Krisensituationen. Durch professionelle sozialpädagogische Unterstützung hilft die Neue Chance gGmbH akute Schwierigkeiten und Probleme zu überwinden. Sie arbeitet mit einem System abgestimmter und integrierter Hilfeleistungen an den Schnittstellen zwischen Wohnungslosen-, Jugend-/Familien- und Eingliederungshilfe.


Berliner Stadtmission

Die Berliner Stadtmission ist Mitglied in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und im Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Sie ist als Verein mit mehreren Tochtergesellschaften rechtlich eigenständig.

Die Berliner Stadtmission setzt sich aus etwa 1000 haupt- und 1.500 ehrenamtlichen Mitarbeitern zusammen und leistet mit 42 diakonischen Einrichtungen an über 70 Standorten missionarische und diakonische Großstadtarbeit und will besonders Menschen am Rand unserer Gesellschaft helfen.


Housing First Europe Hub

Seit Dezember 2019 sind wir ein Partner des europäischen Housing First Hub. Es wurde 2016 von der Y-Foundation in Finnland, FEANTSA (European Federation of National Organisations Working with Homeless People) und weiteren Parnteroganisationen gegründet.

Das Hub hat u.a. einen Housing First Europe Guide entwickelt, fördert die Forschung zu Housing First in Europa und bietet neben Fortbildungsangeboten viele weitere Veranstaltungen zum Thema Housing First an.


Erasmus+

Seit 2023 bis 2025 nehmen wir am Erasmus-Projekt „Training Staff in Housing First Adaptations“ teil und forschen gemeinsam mit Organisationen aus Barcelona, Dublin und Helsinki zur Europaweiten Umsetzung des Ansatzes Housing First.

Ausgehend von dieser Forschung wird das Projekt persönliche und digitale Angebote zur Schulung von Mitarbeitenden in Housing First Services entwickeln.
Für den Herbst 2024 ist eine Europaweite Konferenz in Dublin geplant. Zu Ende 2025 wird das Projekt seine Forschungsergebnisse, Schulungsleitlinien und ein Grundsatzpapier veröffentlichen.
Das Projekt wird finanziert aus dem Programm Erasmus+ der Europäischen Union.


Geschichte und Hintergrund von Housing First

Die Entstehung von Housing First

Der konzeptionelle Ansatz von Housing First wurde in den frühen 1990ern als “Pathways to Housing” von Dr. Sam Tsemberis entwickelt. Das Konzept richtete sich ursprünglich an obdachlose Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen. Die Zielgruppe von Housing First erweiterte sich mit der Zeit auf Menschen, die langjährig obdachlos waren und auf Personen, die nach der Entlassung aus Krankenhäusern und Haftanstalten von Obdachlosigkeit bedroht waren.
Mittlerweile wurde das Konzept Housing First in Nordamerika in den Unterstützungsangeboten so weiterentwickelt, dass auch obdachlose Familien und junge Menschen davon profitieren können. Vor der Entwicklung von Housing First war dauerhafter Wohnraum mit Unterstützung an einen Stufenplan gebunden, der mit Behandlung und Abstinenz begann. Die einzelnen Schritte des Stufenplan-Modells zielen bis heute darauf ab, "housing ready" zu werden und so ein selbstständiges Leben in einem eigenen Wohnraum führen zu können.

Die Grenzen des Stufenplan-Modells

In den 1990ern wurde zunehmend deutlich, dass Hilfeangebote mit Stufenplan für Menschen mit schwerwiegenden psychiatrischen Diagnosen, vor allem in Kombination mit zusätzlichen Suchtproblemen, häufig nicht langfristig erfolgreich sind. Die entstehende Kritik an den bestehenden Stufenplan-Angeboten richtete sich bspw. gegen die hohen Anforderungen, die an obdachlose Menschen gestellt wurden. Kritisch wurde auch die Tendenz bewertet, die Obdachlosigkeit als Folge einer individueller Charakterschwäche der Betroffenen zu sehen und sie für ihre eigene Wohnungslosigkeit verantwortlich zu machen.

Als Alternative zum Stufenplan-Modell entstand in Nordamerika deshalb das Konzept des “Unterstützten Wohnens”. Hierbei wurde ehemaligen psychiatrischen Patient*innen zeitnah ein ortsüblicher Wohnraum vermittelt. Zusätzlich erhielten sie flexible Hilfe und Betreuung durch mobile Unterstützungsteams. Die “Unterstützt Wohnen”-Angebote in verlangten, im Gegensatz zum Stufenplan-Modell, keine Abstinenz von Alkohol oder Drogen und setzten keine Verpflichtung zu einer Behandlung voraus, um mit eigenem Wohnraum versorgt zu werden. Das Modell des "Unterstützten Wohnens" bereitete die Basis für Housing First.

Housing First als effektive und kostengünstige Alternative

Auf diesem Ansatz aufbauend entwickelte Dr. Sam Tsemberis in New York Housing First. Auch hier lag der Schwerpunkt auf der Versorgung mit Wohnraum und flexibler Unterstützung von wohnungslosen Menschen mit schwerwiegenden psychischen Erkrankungen. Entgegen dem herkömmlichen Stufenplan-Modell wurde zuerst eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Der schnelle Zugang zu einer dauerhaften Unterkunft wurde kombiniert mit mobilen Unterstützungsangeboten, die die Teilnehmenden in ihrem Wohnraum aufsuchen. Der Erhalt des Wohnraums wurde nicht mit der Forderung verbunden, den Konsum von Alkohol oder Drogen einzustellen und sich in Behandlung zu begeben. Eine sozialwissenschaftliche Forschungsarbeit von Dennis P. Culhane zeigte Ende der 1990er, dass das Stufenplan-Modell besonders bei Menschen, die von chronischer Obdachlosigkeit betroffen sind, nicht wirksam greift. Im Gegensatz dazu konnten Evaluierungen des Housing First Programms in New York zeigen, dass dauerhafte Obdachlosigkeit so erfolgreicher, als im Stufenplan-Modell beendet zu werden. Es folgten vergleichende Untersuchungen, die zusätzlich zeigten, das Housing First Angebote bei niedrigeren Kosten bedeutend bessere Ergebnisse in der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit erzielt.

Der Erfolg von Housing First ist zahlreich belegt

Seit der Entstehung von Housing First konnten zahlreiche Evaluationen die positive Wirkung des Ansatzes belegen. So zeigte eine von der EU-Kommission finanzierten Studie 2013 die Erfolge von Housing First Projekten aus Amsterdam, Glasgow, Kopenhagen und Lissabon. In 80 und teilweise über 90 Prozent aller Fälle konnte ein dauerhafter Wohnungserhalt erreicht werden. Housing First ermöglicht, dass ehemals Obdachlose wieder langfristig in eigenen Wohnraum leben können, statt in Notunterkünften unterzukommen. Zusätzlich zeigten sich deutlich positive Entwicklungen bei psychischen Erkrankungen und Drogenmissbrauch. Der Studie nach lassen sich insgesamt deutliche Verbesserungen der Lebensqualität feststellen. Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt auch der 2016 erschienene Housing First Guide Europe. Auch hier lag die Quote für langfristige Beendigung der Wohnungslosigkeit sehr hoch. In schwedischen Projekten konnte ein Wohnungserhalt von 84 Prozent, Schweden 93 Prozent und in Österreich sogar von 98,3 Prozent festgestellt werden.